19. März 2024

Aktives Corium in Tschernobyl?

Corium? Ein neues chemisches Element? – Nein. Corium ist ein Gemisch aus geschmolzenen Brennstäben, Graphit, Sand und Beton.

Es entstand 1986 beim „Löschen“ des Reaktorbrandes nach dem GAU (Größter anzunehmender Unfall). Die Brennstäbe aus Uran, das Graphit, welches den Neutronenfluss zusammen mit dem Wasser im Reaktor regulieren sollte und der zum „Löschen“ eingesetzte Sand und Beton verschmolzen durch die enorme Hitze der unkontrollierten Kettenreaktion zu einem Gemisch, dass die Wissenschaftler schlicht Corium nennen. Vor ‚Core‘ = Kern.

Das Corium hat sich vom Reaktorraum 4 in den Keller 305/2 „durchgearbeitet“. Der Reaktor wurde vor einigen Jahren mit internationaler Hilfe durch einen neuen Sarkophag abgedeckt. Wissenschaftler haben auch seit 35 Jahren verschiedene Messgeräte installiert. Diese registrieren nun einen seit fünf Jahren kontinuierlich ansteigenden Neutronenfluss in einzelnen Bereichen des Kellerraums.

Da dieser Bereich jedoch weder zugänglich ist noch durch Bohrungen sondiert werden kann, müssen die Daten der außen aufgestellten Messinstrumente für eine Interpretation herhalten. Diese Daten sind jedoch auch inhomogen. D.h., der Neutronenfluss ist nicht überall gleich. Hierzu gibt es verschiedene Ansichten. Es kann also sein, dass die austretenden langsamen Neutronen durch einige Schichten des Coriums, noch bestehenden Wände, Leitungen etc. abgeschirmt werden und somit dort nicht austreten.

Andererseits kann eingesickertes Regenwasser (das ursprüngliche Reaktorwasser und Löschwasser verdampfte) aus der Zeit vor dem neuen Sarkophag eine Wiederaufnahme der Kettenreaktion in Gang gesetzt haben.

Wasser verlangsamt die bei der Kernspaltung freigesetzten schnellen Neutronen, so dass diese langsamen Neutronen Uran-235-Kerne spalten können. Je Spaltung entstehen drei freie, schnelle Neutronen. Graphitstäbe fangen diese teilweise ein. Dadurch wird eine zu starke Kettenreaktion verhindert. 1986 hatte dies bei einem Überlastungstest aber nicht mehr funktioniert. Die Graphitstäbe wurden zu spät eingeschoben. Die Kernspaltung im Reaktor war bereits unkontrollierbar geworden.

Sollte nun tatsächlich Wasser in das Corium eingedrungen sein, kann dies zu einer erneuten Explosion führen. Dabei würde das eingedrungene Wasser als Dampf durch die enorme Volumenzunahme das Corium auseinander reißen. Eine solche Dampfexplosion könnte auch den Sarkophag beschädigen. Dann würde erneut unkontrolliert radioaktives Material aus dem Reaktor in Tschernobyl austreten und weltweit niedergehen.

Quelle: Tschernobyl: Droht eine neues Atomunglück? – WELT

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